Ein Funken Hoffnung
Die Phase der Reflexion
Nach der Begeisterung, der Ernüchterung, der Erpressung und der Resignation, findet, wenn beide
die Hoffnung nicht aufgeben, die Reflexions-Phase statt.
Interessant ist, dass die meisten Menschen auch nach schmerzlichen oder schlechten Erfahrungen weiter nach Geborgenheit suchen, danach, gesehen und gehört zu werden und sich mit der Hilfe des anderen seelisch niederzulassen. Es wächst das Bedürfnis nach Aufgehobensein und gefühlter Heimat. Jeder Mensch will in jemandes
Seele ankommen und seine Sehnsüchte teilen. Jeder will wissen und fühlen dürfen, hier gehöre ich hin und der andere ganz zu mir, das ist unser.
„Am Beginn einer Paarbeziehung ist keiner von
beiden in der Regel beziehungsfähig“.
Vielleicht gerade deswegen nehmen Menschen nach wie vor große Anstrengungen auf sich, um einen leidenschaftlichen Beziehungshorizont zu errichten und streben gleichzeitig nach einem fühlbaren Maß an Sicherheit und Stabilität in ihrer Partnerschaft.
Und das ist auch gut so! Denn am Beginn einer Paarbeziehung ist keiner von beiden in der Regel beziehungsfähig. Beziehungsfähig werden wir erst in der Beziehung selbst. Und das braucht Zeit und vor allem Zeit und Raum für Wandlung, Veränderung und Wachstum.
Es lohnt sich gemeinsam zu reflektieren, hinzuschauen, wer bin ich, wer bist du und was soll unser Wir ausmachen.
Dazu kommt es aber häufig gar nicht, weil Mann oder Frau aufgrund verschiedener Irrtümer denen sie unterliegen, die Paarbeziehung abbrechen und beenden.
Ein großer Irrtum dem Paare zum Beispiel erliegen, ist, dass jeder für sich in Anspruch nimmt das Gesamtbild der Paarbeziehung erfasst zu haben. Dabei sieht jeder der beiden nur einen winzigen Ausschnitt des Ganzen.
In einer Bekannten Fabel betasten drei Blinde einen Elefanten und entwickeln ganz unterschiedliche Vorstellungen von ihm, weil sie entweder nur den Rüssel, den Schwanz oder ein Ohr vor sich haben.
Übertragen wir dieses Bild einmal auf einen Bereich in der Paarbeziehung über den in der Regel nicht kommuniziert wird. Intimität, Lust und Sinnlichkeit. Unsere verzerrten Vorstellungen von Intimität und Sexualität tragen teilweise komische Züge.
Sie sind, und darin liegt eine Tragik, in einem nicht unerheblichen Maße daran beteiligt, dass die Hälfte aller Ehen mit einer Scheidung enden und das viele Paare zwar verheiratet bleiben, aber sich voneinander entfremden und mit ihrer Sexualität unzufrieden sind bzw. nur noch alleine oder in einer Drittbeziehung erleben.
Aber zu den grundlegenden Regeln, die für die menschliche Sexualität und Intimität gelten, gehört, dass Paare in bestimmte typischen Krisensituationen geraten. Das ist völlig NORMAL.
Krisen Rund um das Thema Intimität sind völlig normal. Diese Krisen sind für die Partner eine Chance, ihr Liebesleben zu bereichern, in ihrer persönlichen Entwicklung voranzukommen und ihre Zufriedenheit mit der Paarbeziehung zu steigern.
Mit anderen Worten, hinter Beziehungskrisen verbirgt sich mehr, als unsere verkürzten Vorstellungen von einer Paarbeziehung das nahe legen.
Darum ist die Reflexionsphase, wenn sie erreicht wird, so überaus konstruktiv und hoffnungsvoll. Denn manche Krisen sind in Wirklichkeit gar keine „Probleme“ oder gar Anzeichen einer „Fehlentwicklung“. Vielmehr handelt es sich um normale Aspekte und Entwicklungen einer Paarbeziehung, auf die wir nicht gebührend vorbereitet sind.
Krisen sind eben Ausdruck eines zentralen Entwicklungsvorgangs, der in jeder Paarbeziehung von Bedeutung ist und wahrgenommen werden muss. Wenn wir natürlich sexuelle Schwierigkeiten nur unter Aspekten wie Leistungsdruck, Wissenslücken oder Gehemmtheit betrachten, verbauen wir uns die Möglichkeit, sie für inneres Wachstum zu nutzen. Die meisten Beziehungsprobleme sind nicht durch das Erlernen von Fertigkeiten und Techniken zu lösen, sondern durch Wachstums- und Reifungsschritte.
Ulrich Clement, Professor für medizinische Psychologie an der Universität Heidelberg und tätig als Sexualtherapeut beschreibt in einem seiner Vorträge fünf ungemütliche Wahrheiten über die Entwicklungen des leidenschaftlichen Geschelchtsverkehrs:
1) Diesbezügliche Selbstverwirklichung
riskiert die Beständigkeit der Beziehung.
Erotische Entwicklung ist nicht ohne Risiko zu haben und benötigt den Mut von beiden, Neues einzuführen. Das Neue kann Angst machen, aber in der Regel lohnt es sich.
2) Diesbezügliche Entwicklung
setzt aktive Entscheidungen voraus.
Erotik und Intimität entwickelt sich dort, wo Entscheidungen getroffen werden. Z. Bsp.: Sich beim Partner zu zeigen und mit seinen Bedürfnissen zu präsentieren. Entscheidungen beim Partner nicht nur das Erwartete, sondern auch das Beunruhigende wahrzunehmen. Es benötigt die Entscheidung, erotische Risiken einzugehen.
3) Von nichts kommt nichts.
Ohne Investition kein Ergebnis.
Clement spricht von einem der häufigsten Fehler der in langjährigen Beziehungen begangen wird, den romantischen Maßstab am Beginn der Partnerschaft, für die langen folgenden Jahre zu nehmen. Erotik benötigt aber eine gemeinsame Kultur und Pflege und das bedeutet viel Zeit und Aufmerksamkeit.
4) Diesbezügliche Entwicklungen
verlaufen ungleichmäßig.
Einer fängt an. Jeder wartet auf den anderen, beide sind häufig in einem Welle der Vorwürfe blockiert. Clement schreibt dazu: „Die Veränderung der Partnerschaft beginnt nicht kooperativ, sondern individuell. Einer erträgt die Unzufriedenheit weniger als der andere. Einer geht fremd. Einer führt ein neues Element ein. Einer stellt die Beziehung infrage. Und für den anderen wird es ernst, weil der Preis der Nichtveränderung zu groß wird. Partner ändern sich eben nicht, weil sie wollen, sondern weil sie müssen.“
5) Guter Geschlechtsverkehr ist
ohne mittelmäßigen nicht zu haben.
Das Liebesspiel lebt nun mal von der Variation. Dazu gehört der unsensationelle Alltag sexueller Begegnung in langjährigen Partnerschaften. Das Fest, das Außergewöhnliche, benötigt den sexuellen Alltag. Erst im Kontrast zum Alltag macht das Fest einen entscheidenden Unterschied.
Clement kommt zu dem Schluss: Je länger Partnerschaften dauern, desto mehr ist Intimität und Sexualität eine Frage der Entscheidung und der aktiven Gestaltung.
Beim „reifen“ Geschelchtsverkehr geht die Entscheidung der Lust voraus. Nicht das Warten auf das Spontane, der das Paar im Fahrstuhl überfällt, sondern die Schaffung einer erotisch-sinnlichen Kultur muss dass ausgesprochene Ziel langjähriger Beziehungen sein.
Intimität steht und fällt damit, dass die Partner günstige Kontexte, Inszenierungen und Situationen herstellen, die sie aus der Schwerkraft des Alltags locken. Das kann man tun. Oder man kann es lassen, so Clement.
Darum reicht es in einer Paarbeziehung nicht aus, neue Streicheltechniken und Kommunikationsfertigkeiten zu lernen oder die zeitlichen Prioritäten der Partner abzustimmen, sondern es benötigt die Entscheidung von beiden, sich gemeinsam auf einen lustvollen Dialog einzulassen.
Ein Dialog, der Raum gibt, schmerzvolles auszuhalten und gemeinsam aufzubrechen zu neuen Ufern, um den Brunnen der Sinnlichkeit neu zu entdecken und sprudeln zu lassen.
Denn wer hat uns das Lieben gelernt? Wer hat uns gelehrt darum zu streiten und miteinander zu kämpfen? Jedes Paar gestaltet ob es will oder nicht will, bewusst oder unbewusst, eine Liebes- und Intimitätskultur.
Wenn wir diese Kultur nicht hinterfragen, reflektieren, neu dazu lernen, wachsen und reifen, dann verhärten sich Körper und Seele. Dann wachsen Kränkungen und Enttäuschungen und es entsteht eine zerstörende, seelische, emotionale und körperliche Distanz.