Magenbitter
Die Phase der Ernüchterung setzt ein
Doch irgendwann scheinen uns diese Spiegelneuronenin der Partnerschaft im Stich zu lassen. Spätestens in dem Augenblick, wo wir die erste Phase in einer Paarbeziehung, die Phase der Begeisterung teilweise noch benommen, verlassen haben und das Land der Realität betreten.
Das Sechs-Phasenmodell, entwickelt von Günter Hallstein beschreibt die verschiedenen Phasen, die Paare immer wieder in unterschiedlichen Abschnitten ihrer Beziehung, durchlaufen.
Als Paar betreten wir nach der Phase der Begeisterung, ein uns völlig neues und unbekanntes Land. Ein Land wo nur noch wenig Schmetterlinge fliegen. Ein Land, dass mit dem was uns in der Zeit der Begeisterung, der Zeit der Spiegelneuronen begegnet ist, nicht mehr viel zu tun hat.
Ernüchterung setzt ein. Die ersten Jahre liegen als Paar hinter uns. Beruflich war ganz schön was los. Es galt sich nach der Ausbildung oder dem Studium zu profilieren und Erfahrungen zu sammeln und in der Regel fordern oder bereichern die Kindern unseren Alltag.
Von Resonanz und Empathie, von Spiegelneuronenund Sinnlichkeit scheint in der Phase der Ernüchterung nicht mehr viel übrig geblieben zu sein. Die Jahre plätschern dahin, die Tages- und Wochenpläne sind durchstrukturiert und da es heute fast unmöglich ist, eine Familie nur mit einem Gehalt über die Runden zu bringen, und beide Partner zumindest Teilzeit arbeiten müssen, bleibt für die Paarbeziehung nicht mehr viel Zeit.
„Die Phase der Ernüchterung ist oft auch geprägt
von mangelnder Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit
und dem fehlenden Mut über die eigenen
Bedürfnisse zu sprechen“.
Wir entfernen uns als Paar voneinander, fühlen uns trotz Partner, einsam zu Zweit. Jeder empfindet einen gewissen Frust, Mangel, fehlende Bestätigung und findet die eigenen Bedürfnisse im Nichts verschwinden.
Die Phase der Ernüchterung ist oft auch geprägt von mangelnder Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit und dem fehlenden Mut über die eigenen Bedürfnisse zu sprechen.
Wer sich einen Moment Zeit nimmt entdecket und spürt, wie unsicher und brüchig Paarbeziehungen in den letzten Jahrzehnten geworden sind und wie viel gegensätzliches und spannungsreiches sich auch im kirchlichen und gemeindlichen Kontext im Bereich Ehe- und Paarbeziehung entwickelt hat.
Seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts vollzieht sich in der Gesellschaft der westlichen Welt ein fundamentaler sozialer Wandel. Etliche Traditionen wurden ausgehebelt und dadurch ist es allgemein erlaubt, zu leben
- was wir wollen (alles nur denkbare).
- so lange wir es wollen (immer kürzer, dafür öfter mit wechselnden Partnern).
- und mit wem wir es wollen (fast mit jedem und zunehmend mit uns allein).
Diese Wahlfreiheit innerhalb unserer Gesellschaft bringt viele Vorteile, aber natürlich auch Nachteile. Der Vorteil liegt klar in der gewachsenen Selbstbestimmung, der Nachteil darin, dass Sicherheiten verloren gegangen sind. Der einzelne Mensch ist auf sich selbst zurückgeworfen. Die ehemalige Verpflichtung zur Familiengründung zum Beispiel, bildet nur noch eine Option unter vielen.
So lange es verbindlich war, eine lebenslange Ehe einzugehen, verlief das Leben nach einem festen Ritual. Auf die Zeit des männlichen Werbens folgte eine kurze Verliebtheits- und Verlobungsphase, die Heirat und nachfolgende Familiengründung. Die Ehefrau verwandelte sich zur Mutter und Hausfrau, der Mann zum berufstätigen Vater mit Versorgungsverantwortung. So vergingen die Jahre, bis die Kinder erwachsen waren das Haus verließen, die Eheleute zu Großeltern gemacht wurden und zum Schluss im Kreis eines Mehrgenerationenhaushalts sich auf den Weg machten zu sterben. Konflikte galten als immanente Konflikte eines Ehepaars, Scheidungen waren ein Tabu.
Heute werden zwar noch viele Ehen geschlossen, aber auch rasch wieder geschieden. Man kann sich aus einer Beziehung verabschieden, wenn es nicht mehr passt, unabhängig wie lange sie währte, was sie einmal bedeutet und was aus ihr an gemeinsamer Geschichte hervor gegangen ist.
Gefühle dominieren und gelten als das Entscheidungskriterium für eine Trennung. Die vielen Jahrhunderte verlässlicher, sozialer oder kirchlicher Verpflichtungen haben ihren Regelwert, eben auch in christlichen Paarbeziehungen, verloren.
Dem entgegen steht alleine die emotionale Erlebenswelt der Paare. Ist die Emotionalität gestört, wird die Beziehung in Frage gestellt. Hat sich die Leidenschaft hinter Gewohnheiten und Alltagsstress versteckt oder verflüchtigt, nimmt Unsicherheit, Irritation und Unwillen ihren Platz ein. Man, sprich Paar, will nicht wahrhaben, dass die leidenschaftliche
Tiefe, die gesucht wird, Schwankungen unterworfen ist und die Qualität des Erlebens, dem man sich verpflichtet fühlt, einem unaufhaltsamen Wandel unterliegt.
Aber eben genau das gehört in eine Paarbeziehung hinein und ist ein Teil der Ernüchterungsphase.