Folgen für die Gesellschaft
Die Bielefelder Soziologen Hans-Jürgen Andress, Barbara Borgloh, Miriam Güllner und Katja Wilking haben im Auftrag des Bundesfamilienministeriums eine Studie zu den wirtschaftlichen Folgen von Trennung und Scheidung für Familien durchgeführt. Die Studie ist unter dem Titel "Wenn aus Liebe rote Zahlen werden - über die wirtschaftlichen Folgen von Trennung und Scheidung" Ende November / Anfang Dezember 2004 im Westdeutschen Verlag erschienen.
Die Haupt-Botschaften der Soziologen lauten: Trennung und Scheidung gehören neben Arbeitslosigkeit, Krankheit und niedriger Bildung zu den großen wirtschaftlichen Risikofaktoren. Für die betroffenen Individuen wie auch für den Staat verursachen Trennung und Scheidung hohe Kosten und stellen die Solidargemeinschaft vor gravierende finanzielle und soziale Probleme. Deren Begrenzung und Lösung ist ebenso wichtig wie die Prävention und Beratung. Konkrete Ansätze hierzu liefert diese Studie. Sie benennt erstmals auf empirischer Grundlage die Hauptprobleme und deren Ursachen und liefert Handlungs-Empfehlungen für die Rechts- und Familienpolitik.
Trennung und Scheidung verdoppeln das Armuts-Risiko der Frauen - trotzdem geht die Scheidung in zwei Dritteln aller Fälle von den Frauen aus. Obwohl die Armutsquote der Frauen von 20 Prozent (zwei Jahre vor der Trennung) auf 34 Prozent im Jahr nach der Trennung ansteigt, geht die Initiative zur Trennung hauptsächlich von ihnen aus. Das könnte unter anderem daran liegen, dass es für eine Frau unter Umständen auch finanziell attraktiv sein kann, sich zu trennen. Folgendes Beispiel zeigt, wie es bei der bestehenden Gesetzgebung dazu kommen kann:
Netto-Jahres-Einkommensvergleich
Frau in der Ehe, 2 Kinder | Frau geschieden und wiederverheiratet, 2 Kinder | |
Einkommen aktueller Ehemann | 40'000 Euro | 40'000 Euro |
Eigenes Einkommen Halbtagsjob | 10'000 Euro | 10'000 Euro |
Kindergeld | 300 Euro | 180 Euro (hälftig) |
Kindersunterhalt | 0 Euro | 9'600 Euro |
Gesamt-Einkommen | 53'000 Euro | 61'500 Euro |
Differenz: 8'500 Euro weniger hat die nichtgeschiedene Frau.
- Lebt die Frau mit einem Partner, hat nicht sie den Nachweis zu erbringen, dass sie nicht in Lebensgemeinschaft leben, sondern die Beweislast liegt beim Zahlelternteil und ist schwer zu erbringen
- Der Unterhalt ist steuerfreies Einkommen, aber der Unterhaltsleistende muss ihn als Einkommen versteuern
- Einkommen des neuen Partners wird auf Kindes-Unterhalt nicht angerechnet
- Ungleichbehandlung von unterhaltsberechtigten und Sozialhilfe beziehenden Frauen bezüglich der Pflicht zur Arbeitsaufnahme: Unterhaltsberechtigte: Jüngstes Kind muss 16 Jahre alt sein, Sozialhilfeempfängerin: Jüngstes Kind muss 3 Jahre alt sein
- keine Anrechnung des Verdienstes der Ehefrau bzw. des neuen Partners auf Unterhalt / Kinder
Den Vorteilen der Frau stehen erhebliche Nachteile für den Mann gegenüber:
Besteuerung von des unterhaltspflichtigen Mannes wie Single trotz Sorge für Familie.
Aufgrund der erheblichen Belastungen für den zahlenden Elternteil kommt es – wie oben beschrieben – häufig zu Arbeitsverweigerung oder fälligen Zahlungen wird nur sehr unregelmäßig nachgekommen.
Unterlassene Zahlungen werden häufig klaglos hingenommen: Über die Hälfte der Kindesunterhaltsberechtigten und gut drei Viertel der Trennungsunterhaltsberechtigten nehmen unvollständige oder unregelmässige Zahlungen des ehemaligen Ehepartners hin, ohne rechtliche Schritte einzuleiten. Der Rechtsweg hilft nur sehr eingeschränkt. Bezieher mittlerer Einkommen verzichten häufig trotz gravierender Probleme auf den kostspieligen Rechtsweg, da sich dieser angesichts zu erwartender geringer Unterhaltsbeiträge "nicht rechnet". Ausserdem zeigt sich, dass sich trotz rechtlicher Schritte die Regelmässigkeit und Vollständigkeit der Zahlungen kaum verbessern. Hier gibt es mit 36 Prozent nur eine relativ niedrige Quote derer, die hinterher ordnungsgemäss Kindesunterhalt erhalten. Bei denen, die den Unterhalt aussergerichtlich geregelt haben, liegt diese Quote bei 27 Prozent, also nicht wesentlich niedriger. Öffentliche Transfers machen es möglich, d.h. es müssen erhebliche Steuern dafür aufgebracht werden. Während die privaten Transfers nur etwas mehr als ein Zehntel des Haushaltseinkommens getrennt lebender Frauen bilden, beträgt der Anteil öffentlicher Transfers mehr als ein Viertel, bei Frauen mit Kindern sogar mehr als ein Drittel. Die Zahlungsmoral lässt zu wünschen übrig: Zwei Drittel der Frauen, die Anspruch auf Trennungsunterhalt haben, erhalten keine Zahlungen. Noch schlechter geht es den (wenigen) anspruchsberechtigten Männern: Hier sind es rund 90 Prozent, die kein Geld bekommen. Die grosse Mehrheit der Zahlungspflichtigen wäre jedoch theoretisch leistungsfähig.
"Nicht leistungsfähige Männer" sind eine Risikogruppe: 10 bis 20 Prozent der unterhaltspflichtigen Männer sind nicht zahlungsfähig und kommen ihrer Unterhaltsverpflichtung wegen mangelnder Ressourcen nicht nach. Über 80 Prozent verfügen hingegen nach Abzug ihrer Unterhaltsverpflichtungen noch über mehr Einkommen als den sogenannten "Selbstbehalt". Aber selbst für den Fall, dass ein Mann genug verdient, dass er deutlich über dem "Selbstbehalt" liegt, reicht es in der Regel nicht aus, um eine neue Familie zu gründen.
Daher verwundert es nicht, dass die allgemeine Lebenszufriedenheit der Frauen ein Jahr nach der Trennung erheblich höher ist als die der Männer, da sie mehr Vorteile in der Scheidung sehen als die Ehemänner. Ein Viertel der Frauen erzielt Einkommensgewinne, und diejenigen mit einem neuen Partner erleben häufig Verbesserungen in den Bereichen Wohnung, Einkommen, Zufriedenheit.
Den 25% der Frauen, die sich finanziell besser stellen stehen die älteren Frauen gegenüber, die meist höhere finanzielle Verluste erleiden: Frauen mit langer Ehedauer und entsprechend höherem Lebensalter hatten vor der Trennung häufig überdurchschnittliche Ehe-Einkommen und müssen nach der Trennung oft besonders starke Einkommensverluste verkraften, so dass sie unter die Armutsgrenze sinken. Diese Frauen nehmen trotzdem seltener staatliche Leistungen in Anspruch. Scheidung im Rentenalter, so ungewöhnlich ist das nicht. Um 40 Prozent, so verrät das Statistische Bundesamt, hat sich die allgemeine Scheidungsrate in den letzten sieben Jahren erhöht, aber um erstaunliche 70 Prozent stieg die Zahl der Scheidungen bei älteren Paaren. Ob das gleichermaßen für Neue wie für Alte Bundesländer gilt, lässt sich nicht mehr ermitteln. Zumindest für die Behörde wächst zusammen, was zusammen gehört. Vergleiche mit Vorjahren lassen sich nicht mehr anstellen, seit 1995 liefert Berlin seine Zahlen nur noch für Gesamt-Berlin. So lässt sich nur festhalten, dass in Deutschland 1998 rund 3.600 Frauen über Sechzig geschieden wurden. Viele der alten Frauen sind durch die Scheidung gezwungen, Sozialhilfe zu beantragen, was wiederum den Staatshaushalt belastet.
Die Studie gibt konkrete Handlungsempfehlungen: Um die (Übergangs-)Probleme nach Trennung und Scheidung zu entschärfen, empfiehlt die Studie konkrete rechts- und familienpolitische Massnahmen. Diese betreffen insbesondere die Förderung der Frauenerwerbstätigkeit, den Ausbau der (Klein-)Kinderbetreuung, eine Revision der Anreizsysteme im Steuer- und Sozialsystem (Richtung Individualbesteuerung), den Ausbau der Schuldnerberatung, das Erwirken einer restriktiveren Kreditvergabe der Banken, eine präventive Information und Aufklärung über Scheidungsfolgen, die Absicherung von Basisansprüchen auf Kindes- und Ehegattenunterhalt, die konsequente Ausschöpfung von Rechtsmitteln (z.B. Zwangsvollstreckungen mit dem Ziel, dass der Sozialstaat nur im Ausnahmefall als Ausfallbürge eintritt), die Entwicklung einer institutionellen "Anlaufstelle" für Informationen und Zahlungen sowie eine Reform der Anspruchsvoraussetzungen für den Unterhaltsvorschuss.